Als Russland im März 2014 die ukrainische Halbinsel Krim besetzte, war ihm der Bruch des Völkerrechts durchaus bewusst. Noch im Mai bestritt Putin verschämt, dass russische Armeeangehörige überhaupt eingegriffen hätten, ehe er deren Einsatz im Juni mit der Begründung der Euromaidan-Ereignisse und den angeblich vom Westen geförderten Umsturz militanter Ultranationalisten jedoch zugab. Kurze Zeit später erzwang Russland die Annexion der Halbinsel. Zur Rechtfertigung der Intervention behauptete Putin weiter, dass er „Erklärungen aus Kiew über einen baldigen NATO-Beitritt der Ukraine gehört habe“. Er verschwieg, dass diese Erklärungen ukrainischer Politiker erst abgegeben worden waren, nachdem russische Truppen die Krim besetzt hatten.
Der eklatante Bruch völkerrechtlicher Verträge wie dem Budapester Memorandum über die Souveränität der Ukraine, der Charta von Paris und der NATO-Russland-Grundakte, führte zu einer abrupten Ernüchterung westlicher Politik. Der 2008 verlängerte russisch-ukrainische Freundschaftsvertrag, der die territoriale Integrität der Ukraine garantierte, wurde ebenso missachtet, wie die Resolution 68/262 der UN-Generalversammlung, die im März 2014 die territoriale Integrität der Ukraine festhielt und eine friedliche Beilegung des Konflikts forderte. Putins Ziel ist jedoch grundsätzlich. Er bedauert den Untergang der Sowjetunion als “größte Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“. Damit meint er nicht die sowjetische Ideologie des Kommunismus, sondern den Zerfall der imperialen sowjetischen Großmacht. Putin wähnt sich in der Tradition des russischen Zaren Peter des Großen, der Russland zu imperialer Größe führte.
Wie jener Zar so will auch Putin Russland zu neuer imperialer Größe als Atommacht führen. Zu diesem Zweck ließ er die letzten Rudimente demokratisch anmutender Institutionen wie eine unabhängige Justiz oder die Pressefreiheit fallen. Er ist heute der unumstrittene Alleinherrscher in Russland, dem niemand zu widersprechen wagt. Die Opposition ist ausgelöscht, befindet sich in Gefängnissen oder wurde liquidiert. Folgerichtig fordert Putin nun die Auslöschung der Ukraine und ihre vollständige Annexion. Zur Rechtfertigung seines imperialistischen Angriffskrieges gegen die Ukraine seit dem Frühjahr 2014, eskaliert am 24. Februar 2022, behauptete er, die Ukraine sei von Nazis beherrscht und stelle eine Bedrohung für Russland dar. Mit dieser Lüge verbreiten seine Trollfabriken unaufhörlich Hass und endlose Verschwörungsnarrative als Teil der hybriden Kriegführung. Dabei ist Putin der klassische Protofaschist, ein vom internationalen Gerichtshof in Den Haag mit Haftbefehl gesuchter Kriegsverbrecher, der subtil mit dem Einsatz von Atomwaffen droht um Angst im Westen zu schüren und dessen militärische Hilfe zu lähmen. Die Ukraine, Deutschland oder Europa können sich weder mit Verhandlungen noch sonstigen diplomatischen Initiativen die einer Kapitulation gleich kämen vor Putin retten. Mit seinem Überfall hat Putin die „Büchse der Pandora“ geöffnet. Der nächste Krieg, auch auf Nato-Territorium, scheint bereits angekündigt, etwa gegen Moldau oder das Baltikum. Europa ist gewarnt.
An dieser Stelle kommen deutsche Protagonisten der sogenannten „Friedensbewegung“ ins Spiel. Renommierte Wissenschaftler wie der Berliner Politologe Herfried Münkler verurteilen den von der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und der vormaligen Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht initiierten Friedensaufruf als „gewissenloses Manifest“. Schwarzer, Wagenknecht und die Unterzeichnenden des Aufrufs, der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Stopp der „Eskalation der Waffenlieferungen“ an die Ukraine und eine „starke Allianz für Friedensverhandlungen“ forderte, „betreiben mit kenntnislosem Dahergerede Putins Geschäft“. Münkler wirft Schwarzer und Wagenknecht vor, mit ihrem „Manifest für Frieden“ die gesamte Idee des Pazifismus und das Grundanliegen der Friedensbewegung zu desavouieren. „Wer das Wort Frieden nicht bloß für eine beliebige Wünsch-dir-was-Vokabel hält, muss dem mit Entschiedenheit entgegentreten.“
Die Idee des Pazifismus, wie sie seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in internationale Vertragssysteme überführt worden ist, beruht auf dem Verbot des Angriffskriegs. Die Verteidigung gegen einen Aggressor bleibt selbstverständlich zulässig. Durch das fortgesetzte Schwadronieren von Waffenruhe und Friedensvertrag nivelliert das Manifest die Kategorien von Angriff und Verteidigung. Hier erkennt man die Analogie zu den Ereignissen in Israel. Pazifismus ist dann nichts anderes als Unterwerfungsbereitschaft! Das ist er aber nie gewesen. „Was wir in diesem Papier vorgeführt bekommen, ist das Ende einer politisch ernstzunehmenden Friedensbewegung“.
Das führt uns zu Bertha von Suttners Roman Die Waffen nieder von 1889, das zum wichtigsten Werk der Antikriegsliteratur wurde, bis dann 1929 Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque erschien. Während von Suttner bedauernd postuliert: „dass Blut immer wieder nur mit Blut ausgewaschen werden soll“ und deshalb „die Waffen nieder“ fordert, von unkundigen Apologeten heute ohne jeden Kontext wiederholt, geht an der Realität des militärischen Überfalls auf einen souveränen Staat meilenweit vorbei. So lange die ukrainische Zivilbevölkerung tagtäglich mit Bomben und Granaten terrorisiert wird, Massaker und andere Kriegsverbrechen verübt werden, hat die Ukraine jedes Recht der Welt sich selbst zu verteidigen. Wie auch Israel das Recht hat, sich nach dem Massaker der Terrororganisation Hamas an der wehrlosen jüdischen Zivilbevölkerung zu verteidigen.
Europa hat das Recht und die Pflicht, dem in Not geratenen Volk der Ukraine in jeder Hinsicht, humanitär und vor allem militärisch nachhaltig zu helfen. Putin legt die Waffen nicht nieder. Er hat auch kein Interesse an Verhandlungen, an Frieden, außer an einem Diktatfrieden. Er will seine imperiale Vision mit allen Mitteln realisieren.
Was aber würde passieren, wenn die Ukraine die Waffen niederlegte? Dann würde die Ukraine, deren staatliche Souveränität und Legitimität Putin per se bestreitet, aufhören zu existieren. Danach könnten die Menschen eben nicht mehr „in Frieden“ leben, wie mancher Friedensfreund in Unkenntnis der Folgen der Unterdrückung eines ganzen Volkes meint, sondern als rechtlose Parias in Unfreiheit. Ihre nationale Identität wäre ausgelöscht. Das zu verhindern, ist das Recht und die Pflicht der europäischen Demokratien. Si vis pacem para bellum – Wer den Frieden will, muss den Krieg denken. WW